Argumente gegen den RWE-E.ON-Deal

Argumente gegen den RWE-E.ON-Deal

Durch die Neuaufteilung des Marktes untereinander könnten die Konzerne eine marktbeherrschende Stellung entwickeln und zum Nachteil von Verbraucher*innen und Wettbewerbern ausspielen. Die potenziellen Auswirkungen auf den deutschen Strommarkt sind gravierend.

E.ON könnte über seine Submarken und Beteiligungen an lokalen Energieversorgern in vielen Regionen beim Strom- und Gasvertrieb den Markt beherrschen. Dies birgt mittel- bis langfristig die Gefahr höherer Preise für die Verbraucher*innen.

  • Die beiden Konzerne halten bereits mehr als 400 Beteiligungen[1], mittel- und unmittelbar, an in Deutschland ansässigen Gesellschaften der Energiewirtschaft.
  • Über 150 davon sind kommunale Energieversorger. Bei den meisten dieser Unternehmen besteht eine Sperrminorität, welche eine direkte gesellschafterliche Einflussnahme ermöglicht. Auch bei kleineren Beteiligungen kann über Minderheitsrechte, Vorstandsentsendungen oder Abhängigkeiten durch unternehmenswichtigen Liefer- und Dienstleistungsverträge starker Einfluss genommen werden.
  • Im Bereich des Stromvertriebs ist E.ON schon heute der dominante Akteur in Deutschland. Inklusive der direkten und indirekten Beteiligungen gehören rund 160 Strom-Marken mit 840 Tarifen zum Portfolio des Konzerns.
  • Durch die Übernahme der innogy-Grundversorgungsgebiete ist E.ON einer Analyse der Beratungsgesellschaft LBD auf circa zwei Drittel der Fläche Deutschlands Grundversorger. Im Durchschnitt haben die Grundversorger in ihren Versorgungsgebieten nach selbiger Analyse einen Anteil von 69 Prozent. Inklusive der Kunden bei den bundesweit aktiven Konzerntöchtern Eprimo und E wie Einfach dürfte E.ON somit in vielen Fällen auf mehr als 70 Prozent Marktanteil kommen. Ein freier und fairer Wettbewerb scheint in lokalabzugrenzenden Märkten, die derart von einem Akteur dominiert werden, kaum noch vorstellbar. Zu befürchten ist, dass sich damit mittelfristig auch die Preise zu Ungunsten der Verbraucher*innen entwickeln werden.
  • Auf dem Gasmarkt sieht es ähnlich schlecht aus. Mit circa 150 Gas-Marken bundesweit werden Analysen von LBD zufolge auf 50 Prozent der Fläche Deutschlands, auf der Gasanschlüsse verfügbar sind, 70 Prozent der Kund*innen von E.ON mit Gas beliefert werden.
  • E.ON ist an insgesamt über 100 Verteilnetzbetreibern beteiligt. Die Konsequenz daraus: Die Kontrolle über 50 Prozent des deutschen Stromnetzes (nach Netzlänge) und der Einfluss auf circa 41 Prozent (rund 20 Millionen) aller Stromzähler. In Kombination mit der monopolähnlichen Position als Stromversorger in einigen Netzgebieten folgt hieraus eine sehr starke regionale Marktmacht.
  • Im Gasnetz hat E.ON, nach dem Abschluss des Deals, direkt und indirekt an 116 Gasnetzbetreibern Beteiligungen und somit Einfluss auf 3,4 Millionen Gaszähler. Ähnlich wie auf dem Strommarkt könnte sich dadurch eine marktbeherrschende Stellung in gewissen Gebieten ergeben.

Im Bereich der Energieerzeugung droht RWE durch die Übernahme von E.ON-Kraftwerken und Kraftwerksbeteiligungen eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen.

  • Laut Marktmachtbericht 2019 des Bundeskartellamts (BKartA) ist RWE „nahe an der […] Vermutungsschwelle für eine marktbeherrschende Stellung.“[2]
  • In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass RWE laut Monitoringberichts 2019 der Bundesnetzagentur (BNetz) mit 105,9 Terrawattsunden (TWh) bereits 2018 mehr Strom erzeugt hat als die zweit- und drittplatzierten Anbieter zusammen.[3]
  • Abgesehen von den vier anderen Großwettbewerbern (EnBW, E.ON, LEAG, Vattenfall) erzeugten alle anderen Unternehmen gemeinsam weniger Strom (91,5 TWh) als RWE allein (105,9 TWh).[4]
  • Bei der Erzeugungskapazität war RWE (22,9 Gigawatt) mehr als doppelt so groß wie der zweitplatzierte Energieerzeuger – in diesem Fall EnBW (11,2 GW).
  • Durch die Übernahme der Anteile von E.ON und somit den Wegfall von E.ON als Konkurrent in der Energieerzeugung findet eine Wettbewerbsverengung statt. Dadurch steigt die Dominanz von RWE voraussichtlich noch weiter. Dazu Christian Ewald[5] vom BKartA in einem Beitrag in der Zeitschrift EnWZ: „Die Schwelle der Pivotalität, ab der eine marktbeherrschende Stellung vermutet wird, könnte aber bereits bei einer vergleichsweise geringfügigen weiteren Verknappung der Marktverhältnisse überschritten werden.“[6]

Einzelmarktbeherrschung auf dem Erstabsatzmarkt[7]

Mit dem Residual Supply Index (RSI) „kann gemessen werden, in welchem Umfang ein Unternehmen über Marktmacht verfügt, weil es über die Steuerung seiner Kraftwerke […] auch den Strompreis maßgeblich beeinflussen kann.“[8]

So wird der RSI-Index berechnet: Die Marktkapazität (Größe der möglichen Stromerzeugung) aller Unternehmen minus die Marktkapazität des untersuchenden Unternehmens. Der Differenzwert wird dann geteilt durch die Marktnachfrage. Ist das Ergebnis kleiner als 1, ist das Unternehmen für die Stromversorgung unverzichtbar, auch „pivotal“ genannt, und kann dadurch den Preis zu seinen Gunsten manipulieren. Diese Überprüfung wird in einem Abstand von 15 Minuten immer wieder vorgenommen. Ein Beispiel: Gesamtmarktkapazität 150 Megawatt (MW) – Unternehmenskapazität 75MW / Marktnachfrage 100MW = RSI von 0,75.

Die wichtigsten Abstufungen sind die folgenden:

RSI < 1,2 Prozent (Preissetzung ohne Kontrolle des Verhaltensspielraums durch den Wettbewerb)

RSI < 1,1 Prozent (Marktmacht)RSI < 1,0 Prozent (Marktbeherrschung)

RSI < 1,0 Prozent (Marktbeherrschung)

2019 lag der RSI-Wert von RWE in 12,9 Prozent der Jahresstunden bei < 1,2, in 7 Prozent bei < 1,1 und bei < 1,0 in 2,1 Prozent der Zeit. Das bedeutet, dass RWE an mehr als 9 Prozent aller Tage im Jahr mindestens eine marktmächtige oder marktbeherrschende Stellung auf dem Markt innehatte. Das ist zusammengerechnet mehr als ein Monat vom Jahr!

Eine Marktmachtstudie des Beratungsunternehmens Oxera prognostiziert weiter steigende Anteile für RWE. So kann zum Beispiel im Jahr 2024, nach Berücksichtigung der relativen Wichtigkeit von Stunden hoher Nachfrage, der RWE-Anteil mit RSI-Wert < 1,0 auf 27,9 Prozent ansteigen! Da sich der Energiemarkt zur Zeit in einer Phase der starken Veränderung befindet – Atomausstieg im Jahre 2022, schrittweiser Kohleausstieg und eine zu erwartende Verengung des Marktes – ist eine zukünftig noch stärkere Marktmachtstellung von RWE zu befürchten.

 

Quellen

[1] E.ON, Geschäftsbericht 2019, S. 210-227; RWE, Geschäftsbericht 2019, S. 176-195.

[2] BKartA, Marktmachtbericht 2019, S. 53.

[3] BNetz/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 47.

[4] BNetz/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 47.

[5] Vorsitzender der für die leitungsgebundene Energiewirtschaft zuständigen 8. Beschlussabteilung des BKartA.

[6] EnWZ 2020, S. 50.

[7] Markt an dem Strom beispielsweise an mit der Weiterverteilung befasste Unternehmen verkauft wird. Im Gegensatz zum „Endkundenmarkt“, bei dem der Strom direkt an den Verbraucher verkauft wird.

[8] BNetz/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 44.