Aufbäumen der Giganten – der Megadeal von E.ON und RWE

Aufbäumen der Giganten – der Megadeal von E.ON und RWE

Auszug aus dem Buch „Energiewende einfach durchsetzen. Roadmap für die nächsten 10 Jahre.“ von Dr. Axel Berg, u.a. Vorsitzender der deutschen Sektion von Eurosolar. Erschienen 2019 im oekom Verlag. S. 216 ff.

Als es 2016 um die Höhe der Ablösesumme für die Atommüllkosten ging, drohte RWE mit Insolvenz und sorgte so dafür, dass der Staat die Atomindustrie viel zu billig – zumal endgültig – aus der Verantwortung für die strahlenden Abfälle entließ; das finanzielle Risiko tragen derweil wir alle. Und siehe da: Bereits ein Jahr später stand RWE plötzlich wieder gut im Saft. Befreit von den tatsächlichen Folgekosten lohnt sich das Geschäft mit den Konventionellen noch einigermaßen. Also startete die frisch gegründete Konzerntochter Innogy für den 120 Jahre alten Stromriesen RWE in die „Zukunft“. Innogy war befreit von der damaligen Atommüll-Last. Das zog Anleger an. Innogy machte auch auf Erneuerbare Energien. Das zog Verbraucher an. Zumindest die, die sich von der Ökostrom-Politur des Energie-Lieferanten täuschen ließen. Denn der vermeintlich nachhaltige Innogy-Strom besteht nur zu drei Prozent aus Erneuerbaren. Der Hauptanteil im Energiemix ist grün eingefärbter[1] Atom- und Kohlestrom – den wiederum produziert RWE. Im Frühjahr 2018 beendete RWE das Experiment, löste Innogy auf und verbündete sich gleichzeitig mit E.ON.

Auch E.ON hat wenig mit der Energiewende am Hut. Ökostrom macht gerade mal sieben Prozent im Stromangebot des Konzerns aus. Bundesweit liegen die Energieversorger im Schnitt mehr als fünfmal so hoch. Gemeinsam wollen die zwei größten der Branche das Geschäft neu aufteilen.
RWE bekommt alle Kraftwerke und fokussiert sich auf die Stromproduktion als dann beherrschender Stromproduzent Deutschlands. RWE kann künftig dank eines riesigen Kraftwerkparks die Preisbildung im Strommarkt beeinflussen oder EEG-Ausschreibungen nach Belieben steuern.

E.ON erhält mit allen Strom- und Gasverteilernetzen das lukrativste Geschäftsfeld und bedient das Endkundengeschäft als beherrschender Strom- und Gasvertrieb Deutschlands[ER1] . Verteilnetze sind auch nach der Liberalisierung des Strommarkts praktisch Monopolbereiche. Egal, wer der Stromlieferant ist, den Betreiber des Hausanschlusses kann man als Verbraucher nicht wechseln. Und der Betrieb des Netzes ist teurer als die Herstellung des Stroms. Verteilnetze sind Goldgruben. E.ON soll 50 Prozent der deutschen Stromnetze und 70 Prozent aller Stromkunden kontrollieren – 70 Prozent aller Gaskunden ebenfalls – und wird als dominierender Netzbetreiber die Standards der gesamten Branche setzen. Mit 20 Millionen Zählern ist die neue E.ON viermal größer als der nächste Wettbewerber. Innogy ist derzeit Markt- und Technologieführer mit marktbeherrschender Stellung im Ladesäulen-Markt und soll auf E.ON übertragen werden. So soll eine kritische Masse erreicht werden, um das Google des deutschen Energiemarkts zu werden. Die Funktionslogik ist der integrierte Konzern mit Netz, Messstellenbetrieb, Endkundenvertrieb und vielen neuen Geschäften. Dafür wiederum beteiligt E.ON die RWE mit 17 Prozent am eigenen Unternehmen, was gewährleisten soll, dass E.ON nicht wieder in den Erzeugungsmarkt einsteigt. Der Deal beendet die Rivalität der beiden Konzerne.

Tatsächlich liegt ein schnelles Ende des Atom- und Kohle-Zeitalters jedoch nicht im Interesse der Beteiligten. Im Gegenteil: RWE und E.ON schleppen die Erneuerbaren nur so weit mit, wie es unbedingt nötig ist, um das Geschäft mit der konventionellen Stromproduktion zu stützen. Energieexpertin Claudia Kemfert[2] bewertet den Innogy-Deal denn auch als Rückschlag für die Energiewende: „Es scheint, als könnten die Energieriesen nur das großmaßstäbliche konventionelle Energiegeschäft bedienen, weniger das dezentrale, erneuerbare und innovative – das langfristig aber das erfolgversprechendere ist.“ Eine dezentrale Marktordnung mit vielen kleinen Stromproduzenten steht den Profit- und Wachstumszielen großer Energiekonzerne im Weg. Mit dem Deal wollen RWE und E.ON ihre alten zentralen Markt- und Machtstrukturen absichern. Statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, positionieren sich die Großen gemeinsam gegen die Kleinen und gegen die Energiewende[ER2] . Nach der vertikalen Integration der Märkte erfolgt jetzt die horizontale Aufteilung.

Die Bundesregierung sieht das wohlwollend. „Die Energieversorger stellen sich auf die Energiewende ein“, kommentierte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das Vorhaben. Er verfolgt sogar seit 2019 ganz offen eine staatlich gelenkte Industriestrategie, spricht von Industrieführerschaft, in der Größe zähle und starke Akteure fähig seien, den Wettbewerbern aus den USA und China auf Augenhöhe zu begegnen.[3] Mit dezentraler Energiewende hat das nichts zu tun. Erstaunlicherweise sehen weder das Bundeskartellamt noch die Monopolkommission in dieser hohen Marktdominanz bei Erzeugung und Verteilung eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Obwohl jeglicher Wettbewerb zwischen zwei von vier großen deutschen Energieversorgungsunternehmen verschwindet. Politik und Verwaltung lassen die Energieriesen gewähren – das hat Tradition. Lediglich der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist es zu verdanken, dass die Übernahme der Innogy durch Konkurrent E.ON bei Drucklegung des Buchs noch nicht wettbewerbsrechtlich durchgewunken wurde. Der ersten Hälfte des Deals, der Übernahme des E.ON-Kraftwerkparks durch RWE sowie der Minderheitsbeteiligung der RWE an E.ON hatten EU-Kommission und Bundeskartellamt bereits im Februar 2019 zugestimmt.

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[1] Das Renewable Energy Certification System (RECS) wurde bereits 2002 in der EU eingeführt – initiiert und maßgeblich getragen von großen europäischen Stromproduzenten wie E.ON, RWE und Vattenfall. Das System erfasst Strom aus regenativer Energie bei der Einspeisung ins Netz und trennt beim Handel im Nachhinein jede physikalisch hergestellte Kilowattstunde von dem ökologischen Nutzen, der damit verbunden ist, dass kein CO2 ausgestoßen wurde. Der virtuell abgetrennte ökologische Nutzen wird dann in Form eines Zertifikats europaweit vermarktet. Mit diesem Greenwashing-Trick können große Energieversorger, die traditionell große Wasserkraftwerke in ihrem Portefeuille haben, diesen Erneuerbaren Wasserkraftstrom, ohne neu zu investieren, als grünen Strom extra teuer verkaufen. Die umweltbewussten Kunden denken, mit dem teureren Ökotarif würde die Energiewende gefördert. In Wirklichkeit wird der zertifizierte Ökostromanteil mit herkömmlichen Angeboten aus Kern- und Kohlekraftwerken aufgefüllt. Die Grünstromkunden werden an der Nase herumgeführt, die Konzerne machen mit ihnen ein dickes Zusatzgeschäft und können sogar ihre schädlichen Altanlagen länger laufen lassen. Und nicht eine zusätzliche oder gar herkömmlichen Strom substituierende Windmühle oder Photovoltaik-Anlage wird gebaut.

[2] Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin an der Hertie School of Governance

[3] Nationale Industriestrategie 2030, BMWi, Februar 2019