Wettbewerbshürden auf den Energiemärkten Europas – Studie der EU-Kommission

Wettbewerbshürden auf den Energiemärkten Europas – Studie der EU-Kommission

Mitte Februar 2021 veröffentlichte die EU-Kommission die Ergebnisse einer rund einjährigen Untersuchung namens „European Barriers in retail energy markets“. Das Projekt hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Wettbewerbshürden der Strom- und Gasmärkte in den (damaligen) 28 Mitgliedsstaaten der EU, in Norwegen sowie in der Schweiz zu untersuchen und damit eine gewisse Vergleichbarkeit unter den Märkten herzustellen. Die umfassende Analyse überprüft, inwieweit die Theorie des diskriminierungsfreien Marktzugangs mit der Realität in den jeweiligen Ländern übereinstimmt. Dabei werden die jeweiligen Einstiegs- und Wettbewerbsbarrieren in den Energiemärkten aufgezeigt, bestehende Probleme kritisiert und Lösungen angeboten.

Das Projekt wurde auf Initiative der EU-Kommission im Januar 2019 gestartet, die Datensammlung im März 2020 abschlossen und die Ergebnisse nun veröffentlicht. Neben den frei verfügbaren Daten der offiziellen Behörden wurden weitere Informationen durch Interviews, Webinare und Workshops mit Stakeholdern des Energiebereichs des jeweiligen Landes eingeholt, in Deutschland unter anderem mit der Bundesnetzagentur, Energieunternehmen und Verbänden. Insgesamt 30 individuelle Berichte (country handbooks) wurden erstellt. Eine Reihe von Firmen – The Advisory House (DE), VaasaETT (FIN), REKK (HUN) und MRC Consultants (ESP) – führten die Untersuchungen durch.

Deutscher Energiemarkt und seine Probleme

Die Liberalisierung des europäischen Energiemarktes ist mittlerweile in seiner dritten Dekade. Strom- und Gasverbraucher*innen können heutzutage ihre Anbieter in fast allen Ländern der EU frei wählen. In Deutschland begann die Öffnung des Marktes durch das 1998 verabschiedete Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (EnWG). Damit konnten Privat- und Gewerbekund*innen zum ersten Mal frei entscheiden, von welchem Anbieter sie ihren Strom beziehen möchten. Trotz der weiteren Fortschritte in den darauffolgenden Jahren gibt es weiterhin Probleme bzw. Barrieren, die einen wirklich fairen, nachhaltigen und effektiven Energiemarkt beeinträchtigen.

Im Folgenden sollen vier in der Studie erkannte Problemfelder vorgestellt werden:

    1. Diskriminierung gegen neue und kleine Marktteilnehmer

Im Bereich der Marktungleichheiten kritisiert die Untersuchung, dass der deutsche Energiemarkt bei der Stromproduktion vornehmlich auf Großkraftwerke ausgelegt war und ist; vom grundsätzlichen Aufbau bis zu speziellen Regularien. Das kann die Marktteilnahme kleinerer oder aggregierter Stromproduktion ausschließen, da sie gewisse Produktbedingungen nicht erfüllen können. Ein ineffizienter Kapazitätsmarkt kann durch die Orientierung an Großkraftwerken Marktverzerrungen verursachen, die insbesondere bestehende und etablierte Marktteilnehmer bevorteilen.

    1. Mangelhafter Zugang zu Daten für innovative Produktentwicklung

Der fortschreitende Einbau von Smart-Metern eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten, z.B. sogenannte „demand-side and aggregation services“. Diese Anwendungen benötigen Verbrauchsdaten in Echtzeit, um sich an aktuelle Netzgegebenheiten anzupassen. Hat jedoch nur der Betreiber der Smart-Meter Zugriff auf die Daten, bzw. kann der schnelle Zugang nicht gewährleistet werden, ist eine klare Benachteiligung der Wettbewerbsfähigkeit anderer Marktteilnehmer gegeben. Die Studie weist auf die bereits jetzt bestehende dominante Position einzelner Anbieter und die Gefahren für einen diskriminierungsfreien Markt hin.

    1. Strategische und unfaire Vorteile für vertikal integrierte Marktteilnehmer

Nach dem Gesetz müssen Energieversorger in Deutschland, die ein eigenes Netz betreiben, ihr Netz und den Vertrieb rechtlich und praktisch getrennt halten. Diese Regelung – auch Unbundling genannt – soll Quersubventionierung und Diskriminierungen beim Netzzugang verhindern. Es gibt jedoch Ausnahmen: Unternehmen mit weniger als 100.000 Kund*innen sind ausgenommen und Miteigentümerschaft ist erlaubt. Speziell durch die Ausgründung von Tochtergesellschaften können größere Unternehmen sich einen Marktvorteil verschaffen. Hier sind gerade der Zugang zu Nutzerprofilen zur besseren Kundenanwerbung und die Bevorzugung der Tochtergesellschaft bei der Wahl von Dienstleistungen als Gefahren für einen fairen Energiemarkt in der Studie erwähnt.

    1. Diskriminierendes, strategisches und blockierendes Verhalten bestehender Marktteilnehmer

Ein solches Verhalten auf dem Markt wird bevorzugt von Spielern angewendet, die eine große Macht, d.h. hohen Marktanteil haben und diesen zu ihrem Vorteil gegenüber kleineren Konkurrenten verwenden. Besonders der Einsatz aggressiver Preispolitik durch eine höhere Liquidität ist eine effektive Art, neue Markteilnehmer schnell auszuschalten. „Price dumping“ durch hohe Wechselprämien ist dabei ein beliebtes Mittel. Doch auch beim Zugang von Daten sind kleinere Energieversorger im Nachteil, da sie nur aus einem limitierten Pool von Kunden und Kundinnen Informationen ziehen können, wohingegen für vertikal integrierte Markteilnehmer ein Informationsvorsprung gegeben ist.

Die vier gelisteten Punkte sind nicht alle in der Studie beschriebenen Barrieren, vermitteln jedoch einen guten Querschnitt der Probleme, mit denen neue bzw. kleinere Marktteilnehmer beim Einstieg in den deutschen Energiemarkt konfrontiert sind. Angefangen bei der strukturellen Diskriminierung kleinerer Anbieter, über einen schlechten Zugang zu Daten bis hin zu unfairer Preispolitik der Platzhirsche auf dem Energiemarkt sind die Umstände für neue Marktteilnehmer nicht einfach. Speziell die Entwicklungen der letzten Jahre lässt befürchten, dass innovative und mittelständische Energieversorger durch schlechte Rahmenbedingungen vermehrt aus dem Markt verdrängt werden.

Für das country handbook von Deutschland klicken sie hier (Bericht in Englisch).