12 Okt „Wir sehen eine Konterrevolution“
Nach ihrem Megadeal haben RWE und E.ON begonnen, den Energiemarkt unter sich aufzuteilen. Die EU-Kommission hatte das Vertragsgeflecht freigegeben – wogegen NATURSTROM vor dem EU-Gericht klagt. Die Hintergründe erklärt Vorstandschef Thomas Banning.
Gemeinsam mit anderen Energieversorgern hat die NATURSTROM AG im Mai dieses Jahres gegen den geplanten Zusammenschluss von RWE und E.ON Klage beim Europäischen Gericht eingereicht. Damit greift der Öko-Energieversorger die Entscheidung der Europäischen Kommission an, die Übernahme der zu E.ON gehörenden konventionellen und erneuerbaren Erzeugungskapazitäten durch RWE freizugeben. Denn mit der Fusion werde der Wettbewerb in der Stromerzeugung und -vermarktung erheblich eingeschränkt.
Herr Banning, NATURSTROM hat die EU-Kommission verklagt. Wogegen richtet sich die Klage genau?
RWE und E.ON haben ihren Deal in zwei Teilen beim Wettbewerbskommissariat der EU und einen dritten Teil beim Bundeskartellamt zur Genehmigung eingereicht. Einer der beiden Teile auf EU-Ebene betrifft die Übernahme der bisher zu E.ON und Innogy gehörenden konventionellen und erneuerbaren Erzeugungskapazitäten durch RWE. Die EU-Kommission hat das ohne vertiefende Prüfung und nennenswerte Auflagen durchgewunken. Dagegen wehren wir uns.
Sie hätten sich also höhere Auflagen für die Konzerne gewünscht?
Ich hätte mir vor allem gewünscht, dass solch ein riesiges Fusionspaket zweier Schwergewichte des europäischen Energiemarkts deutlich intensiver und transparenter geprüft wird. Und zudem in seiner Gesamtheit mit allen Auswirkungen und nicht in einzelnen Happen! Ich bin überzeugt: Bei einer genauen Betrachtung kommt man für den deutschen Markt zu dem Schluss, dass dieser Deal den Wettbewerb massiv gefährdet. Nach meiner Einschätzung werden in den kommenden Jahren aufgrund der enormen Marktmacht der beiden Konzerne die Möglichkeiten für kommunale oder unabhängige Energieunternehmen massiv beschnitten werden.
Was sind konkret Ihre Befürchtungen?
E.ON und RWE waren schon immer zwei ganz große Player, aber sie traten auch gegeneinander an. Nun haben sie sich den Markt nach Themenfeldern untereinander aufgeteilt. Sie verzichten damit auf den Wettbewerb untereinander. Jedes der beiden Unternehmen erhält in den ausgewählten Bereichen eine Marktmacht, die um hohe Faktoren größer ist als die der anderen Marktteilnehmer. Diese beherrschende Stellung können und werden E.ON und RWE ausspielen und Stadtwerke wie mittelständische Wettbewerber in eine Abhängigkeit zwingen oder sogar aus dem Markt drängen.
Die 2000er-Jahre waren geprägt von den Oligopolstrukturen, die sich nach der unzureichenden Liberalisierung des Strommarkts 1998 bilden konnten. Was ist diesmal anders?
In den 2000ern beherrschten die großen Vier den Energiemarkt: E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW. Gegenüber den unzähligen kleineren Akteuren waren sie zwar in der Übermacht, aber sie waren untereinander in allen wichtigen Geschäftsfeldern Konkurrenten. Und auch andere bedeutende Versorger waren nicht komplett abgeschlagen gegenüber den großen vier unterwegs. Inzwischen hat Vattenfall als ehemalige Nummer drei sein Engagement in Deutschland deutlich reduziert, die Lücke zwischen den beiden führenden zu den vielen anderen wurde größer. Und nun teilen sich E.ON und RWE den Energiemarkt einvernehmlich auf. E.ON wird ein Gigant in der Endkundenbelieferung und im Netzbetrieb, RWE in der Energieerzeugung. Beide kommen sich künftig nicht mehr ins Gehege.
Was bedeutet das für die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Langfristig nichts Gutes. Erst einmal wird es womöglich einige Lockangebote geben, mit denen sukzessive einzelne Marktteilnehmer so lange unter Druck gesetzt werden, bis sie nicht mehr mitziehen können. Danach nimmt man sich die nächsten Wettbewerber vor. Sobald der Markt dann bereinigt ist, kann nach Belieben an der Preisschraube gedreht werden.
Strom und Gas werden also teurer?
Wenn der Wettbewerb fehlt, wird genau das passieren. Aber das ist nicht alles: Im Netzbetrieb, beim Betrieb von Stromzählern oder in all den Mess- und Abrechnungsprozessen, die in der Energiewirtschaft in den kommenden Jahren digitalisiert werden müssen, wird E.ON die zentrale Macht sein. Es wird keinen Standardprozess, keine DIN-Norm mehr in diesen Bereichen geben, zu denen E.ON und RWE nicht die Zustimmung gegeben haben. Das hemmt die Innovationskraft im Wettbewerb und wird sich langfristig auch beim Endkunden bemerkbar machen. Und natürlich werden die beiden Marktdominatoren auch Zulieferern gegenüber ganz anders auftreten können. Es geht dann nicht mehr um die besten Lösungen, sondern nur noch um die, die den Konzernen und ihren internationalen Investoren besonders viel Geld in die Kasse spülen.
Und damit all dies nicht passiert, hat NATURSTROM geklagt?
Ja, da müssen wir einfach gegen angehen! Wir haben eine Nichtigkeitsklage eingereicht. Diese Art von Klage dient dazu zu überprüfen, ob die Handlungen von Unionsorganen – also zum Beispiel von Kommission, Rat oder EU-Parlament – rechtmäßig waren.
Was passiert, wenn die Klage Erfolg hat?
Dann kassiert das Europäische Gericht die Freigabeentscheidung der Kommission. Und die Kommission müsste unter Berücksichtigung der Wertungen des Gerichts das Vorhaben der Konzerne erneut prüfen. Je nachdem, was diese Prüfung ergäbe, könnte der Deal sogar rückabgewickelt werden müssen.
Sind Sie da optimistisch?
Unsere Klage ist gut begründet, sie adressiert mehrere inhaltliche und formale Mängel der Freigabeentscheidung. Inhaltlich ist besonders schwerwiegend, dass die Kommission nicht in ein sogenanntes vertiefendes Prüfverfahren eingestiegen ist. Das wäre aus unserer Sicht dringend angezeigt gewesen, denn durch die Übernahme der E.ON-Erzeugungskapazitäten sichert sich RWE die dominante Position bei der Stromerzeugung in Deutschland und baut sie weiter aus, im Großhandel mit Stromprodukten wird an RWE zukünftig kein Weg mehr vorbei gehen und die Gefahr von Marktmanipulationen zum Schaden der anderen Wettbewerber und der Endkunden wächst enorm. Außerdem ist die Tatsache, dass sich die beiden Konzerne den Energiemarkt untereinander aufteilen und somit als gegenseitige Wettbewerber wegfallen, von der Kommission nicht untersucht worden.
Sie sprachen eingangs davon, Sie hätten sich eine transparentere Prüfung gewünscht. NATURSTROM hat nun begleitend zur Klage auch die Informationskampagne #wirspielennichtmit gestartet.
Der RWE-E.ON-Deal war in den letzten zwei Jahren in der Politik oder der breiten Öffentlichkeit kein Thema. Wir wollen diesen gesamten Komplex aus seiner Branchennische herausholen. Und die Bürger darüber informieren, wie aberwitzig intransparent dieses Freigabeverfahren abgelaufen ist – und in gewisser Weise noch immer abläuft.
Wie meinen Sie das?
Wir haben nach der Freigabeentscheidung der Kommission im Februar 2019 zum ersten Teil, der Neuausrichtung von RWE, über ein Jahr warten müssen, bis die Begründung dazu veröffentlicht wurde. Im September 2019 hatte die Kommission dann den zweiten Teil des Deals, der die Neuausrichtung von E.ON betrifft, mit lächerlich geringen Auflagen genehmigt. Auch für diese Genehmigung gibt es mehr als ein Jahr später noch keine Begründung. Das perfide daran: Erst wenn eine solche Begründung vorliegt, kann gegen die Entscheidung geklagt werden. Ich befürchte, dass die Kommission das ganze Verfahren bewusst in die Länge zieht, damit die Konzerne Fakten schaffen können, ehe sich der Wettbewerb überhaupt wehren kann.
Was ja bereits passiert.
Genau. Und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir dieses Vorgehen in die Öffentlichkeit holen. Ich habe den Eindruck, dass es ihr bewusst vorenthalten wird. Was da abläuft zwischen den Großkonzernen und der Spitzenpolitik widerspricht diametral meinem Verständnis von unternehmerischem Agieren in einer Demokratie. Außerdem beschleunigt der Deal die ohnehin seit Jahren sich leise vollziehende Rückwärtsentwicklung in der Energiewirtschaft
Was entwickelt sich denn zurück?
Ich meine die Akteursstruktur im Energiemarkt. Die großen Player der klassischen Energiewirtschaft haben zwei Jahrzehnte lang gegen die Erneuerbaren gearbeitet, sie verleugnet und die Bürger, Wissenschaftler und mittelständischen Unternehmen bekämpft, die sich für die Energiewende einsetzen. Die Konzerne haben die Entwicklung hin zu den Erneuerbaren komplett verschlafen, aber die Realität hat sie in ihrem Starrsinn überholt.
Dieser Kampf ist ja nun verloren.
Ja, die Energiewende ist nicht mehr aufzuhalten. Aber die Frage ist, wer sie weiter gestalten soll und darf. Das waren bislang hauptsächlich Bürgerenergie-Gesellschaften, engagierte Privatleute, Landwirte, mittelständische Unternehmen und eher kleinere, unabhängige Energieversorger wie NATURSTROM. Genau das wollen sich die Konzerne nun aber nicht mehr gefallen lassen. Sie holen sich mit viel Geld und den alten, nach wie vor exzellenten Kontakten in die Politik verlorenes Terrain zurück. Trotz massivster Fehlentscheidungen werden die alten Konzerne nach wie vor hofiert – inklusive völlig übertriebener Entschädigungen für alte, nicht mehr marktgängige Kohlekraftwerke. Und diese Geldmengen aus der Staatskasse werden dann zur Rückeroberung von Marktanteilen und gegen einen fairen Wettbewerb eingesetzt. Und wenn dann noch die Bundesregierung Partei für die Konzerne ergreift und auf einen fairen Wettbewerb pfeift, steigt bei mir der Blutdruck! Das geht gar nicht, dagegen müssen wir bei NATURSTROM etwas unternehmen.
Hat diese Einstellung auch etwas mit der Geschichte von NATURSTROM zu tun?
Absolut! Wir sind ein Kind der Strommarktliberalisierung. Und nun sollen wir, ebenso wie über 900 Stadtwerke in Deutschland, keine Rolle mehr spielen dürfen? Wir sehen hier eine Konterrevolution, die sich gegen engagierte Bürger richtet, gegen mittelständische und im Wettbewerb erfolgreiche Unternehmen, gegen die dezentral einsetzbaren Erneuerbaren Energien – und somit gegen Energie mit Zukunft.
Das Interview erschien in der energiezukunft. Die Fragen stellte Tim Loppe.